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Argentinien – Liebe auf den zweiten Blick

Strahlende Männer tragen ein frisch geschlachtetes, in Folie gehülltes Lamm über der Schulter, werfen sich anerkennende Blicke zu und freuen sich wie kleine Kinder. Ja, Liebe zu Fleisch haben wir in Argentinien erwartet, aber in diesem Ausmaß? Es ist der 21. Dezember und alle Angestellten der Stadt Calafate bekommen ein Lamm für das Weihnachtsfest. Wir machen hier auf dem Weg von Chile nach Buenos Aires halt, um uns den berühmten Perito-Moreno-Gletscher anzuschauen.

Der frische Wind und das bläuliche Eis des Gletschers lassen trotz angenehmer Temperaturen nun endlich doch ein wenig winterliche Gefühle bei uns aufkommen. Von einer der zahlreichen Aussichtsplattformen aus beobachten wir stundenlang den riesigen Gletscher, immer in der Hoffnung, dass bald wieder ein großes Stück abbricht und krachend ins Wasser fällt. Der Gletscher ist bis zu 75 Meter hoch und erstreckt sich über eine Fläche so groß wie Buenos Aires, ein einmaliger Abschluss für Patagonien. Für Calafate, den Ausgangspunkt zum Nationalpark, fällt es allerdings schwerer Superlative zu finden…super touristisch trifft es wohl am ehesten. Daher gehts am nächsten Tag auch direkt zum Flughafen in Richtung Buenos Aires.

Buenos Aires sei verblassende europäische Grandeur kombiniert mit lateinamerikanischer Lässigkeit. An die lateinamerikanische Lässigkeit machen wir sofort einen Haken. Unser am Flughafen gebuchter Taxifahrer verschickt auf dem Weg in Richtung Centro unzählige WhatsApp Sprachnachrichten über rabattierte Jeans und verfällt in ungebremste Heiterkeit als wir merken, dass wir statt nach ‚Parama‘ in einen Stadtteil namens ‚Panama‘ fahren. Verblassende Grandeur können wir auch nachvollziehen – so atmet zwar Buenos Aires Centro doch eher den typischen, etwas schmutzigen Charme südamerikanischer Großstädte, unser Airbnb dagegen hat hohe Decken, Stuck und edles Parkett.

Auch in der hektischen Stadt verstecken sich einige Juwelen. Auf der Einkaufsmeile finden wir zwar nicht was wir gesucht haben, dafür allerdings einen der schönsten Buchläden der Welt. In einem alten Theater, in dem einst 1000 Besucher Platz fanden, findet sich heute Bücherregal über Bücherregal, ein Café auf der ehemaligen Bühne und Leseecken in goldenen Logen. Nicht weniger beeindruckend ist der Recoleta Friedhof. Hier finden in prachtvollen Mausoleen aus weißem Stein unzählige Prominente und Reiche ihre letzte Ruhe.

Leider sind alle Heimspiele der Boca Juniors verlegt und so bekommen wir das Stadion nur leer zu sehen. Aber selbst so versprüht es Fußballverrücktheit und Kultur. Kultur und Authentizität fehlen hingegen wenige hundert Meter entfernt in der Touristenmeile völlig. Wer die negativen Folgen von Tourismus studieren will ist hier gut aufgehoben – wir flüchten in unser ‚Belgisches Viertel von Buenos Aires‘, nach Palermo. Hierhin fahren wir fast täglich mit dem Bus um Kaffee zu trinken, durch die Läden zu schlendern und natürlich richtig gutes Steak zu essen.

Wir verzichten darauf uns an die Schlange vor dem bekannten ‚Don Julio‘ zu stellen, die sich über mehrere Häuserblöcke erstreckt. Das ‚Calden del Soho‘ hat zwar nicht vor kurzem unsere Bundeskanzlerin bewirtet, das Fleisch soll es aber mit dem Superstar der Steakhäuser locker aufnehmen können. Wir stellen uns daher nach argentinischen Maßstäben für ein spätes Mittagessen um 19h vor die Tür des Calden del Soho und bekommen tatsächlich den letzten verfügbaren Tisch. In der kommenden Stunde beobachten wir wie dutzende Gäste weggeschickt werden und ein grimmig schauender, älterer Argentinier riesige Stücke Fleisch auf einem Holzgrill nach Gefühl brät – Und es scheint zu helfen: Das Fleisch ist Weltklasse!

Die letzte Etappe in Argentinien verbringen wir zu großen Teilen im Auto. Wir sind froh darüber, einen robusten, bereits von Steinschlag gezeichneten Chevrolet zu bekommen. Denn unser Weg führt uns hunderte Kilometer durch den Norden Argentiniens. Dabei überwinden wir überflutete Straßen und hunderte Kilometer Schotterpisten, die eher Felspisten heißen sollten. Hier erleben wir das erste Mal am eigenen Leib wie anstrengend die Höhe sein kann, auf der wir uns dann noch Wochen – zum Glück dann besser akklimatisiert – aufhalten würden. Mehrfarbige Berge, einsame Marslandschaften und haushohe Kakteen entschädigen für die dünne Luft.

Wir werden die Weite Argentiniens vermissen und natürlich das Steak. Weniger vermissen werden wir die 10% Gebühr an den Geldautomaten und den Nervenkitzel, mit vollem Einkaufswagen (und ohne Bargeld) an der Supermarktkasse zu stehen ohne zu wissen ob der Kassierer unsere deutsche Passnummer für die Kartenzahlung irgendwie in die Kasse bekommt oder nicht.