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Torres del Paine – “w“underschön

Wir sind heute früh aufgestanden, um die Torres del Paine zu sehen. Es ist daher noch kühl und leer auf dem Weg, wenige Kilometer vor dem Ziel. In unserer kleinen Gruppe, die sich über die letzte halbe Stunde gebildet hat, wird das Ibuprofen kurz vor Weihnachten selbstlos geteilt. Tagelanges auf und ab hat die Knie vieler Wanderer irritiert. Doch selbst für diejenigen, die von diesen Problemen verschont geblieben sind, liegt jetzt die mentale Assoziation von Paine zu Pain nahe. Die letzten Kilometer sind steil, anstrengend und nehmen kein Ende.

Richtig übersetzt heißt Torres del Paine „Türme des blauen Himmels“. Irgendwann tauchen die drei, wie spitze Nadeln zulaufenden Granitberge, dann auch tatsächlich unter dem strahlend blauen Himmel Patagoniens auf. Klar, denken wir uns, auch das letzte Tagesziel des „Ws“ war es mehr als wert. Genau wie die letzten Tage. Dabei wussten wir bis vor einer Woche noch nicht einmal was das „W“ ist, geschweige denn, dass der schwierigste Teil des Abenteuers nicht outdoor sondern indoor zu bewältigen sein würde.

Der Torres del Paine ist der bekannteste Nationalparks Chiles und gilt mit seinen Seen, Gletschern und Berggipfel als eine der schönsten Landschaften der Welt. Damit ist er als Teil unserer Route durch Chile gesetzt. Nach etwas Recherche lernen wir, dass es zwei klassische Routen gibt: Das „W“ und das „O“, benannt grob nach ihrem Verlauf. Das „O“ dauert im Schnitt 10 Tage und fiel somit aus Zeitgründen aus. Eine etwas gestraffte Variante des klassisches „Ws“ hört sich gut an und passt in unseren Zeitplan, denn Weihnachten wollen wir dann doch lieber in vier Wänden als unter einer Zeltplane verbringen.

Nachdem die genaue Wunschroute nach etwas hin und her steht, wird es allerdings verwirrend. Mit CONAF, Vertice und Fantastico gibt es drei Anbieter, die Campingplätze und Refugios anbieten. Refugio hört sich romantisch an, ist allerdings ein Stockbett in einem Mehrbettzimmer zur Rate eines typischen Hilton Hotels. Wir freunden uns mit dem Campinggedanken weiter an. Die Reservierung wird dadurch kompliziert, dass die drei Betreiber der Unterkünfte im Park außer einer jeweils verwirrenden Internetseite nichts gemein haben. Zusätzlich dämmert uns nach einigen Gesprächen, dass wir etwas spät mit unserer Planung dran sind. Typischer als unser Vorlauf von sechs Tagen scheint eher ein Vorlauf von sechs Monaten zu sein. Wir lernen, dass die Übernachtungsgäste auf 60 Personen pro Campingplatz begrenzt sind und Wanderer ohne Reservierung strikt abgewiesen werden. In der Vergangenheit war die Toilettensituation wohl zum Teil so katastrophal, dass sich ganze Epidemien im Park verbreiteten.

Dennoch können wir den ersten Campingplatz problemlos buchen. Für die verbleibenden zwei Übernachtungen lassen sich Verfügbarkeit, Route und Zeitplan aber beim besten Willen nicht vereinbaren. Mit wenig Hoffnung auf Antwort, schreiben wir alle drei Anbieter per Email an und vertagen das Problem. Am nächsten Tag kommt zwar keine Antwort, allerdings sind jetzt online auf einmal völlig andere Plätze verfügbar, die sich schön in unser „W“ einfügen. Die schwierigste Hürde ist geschafft. Glück gehabt.

Puerto Natales ist eine Art Base Camp des Parks, es reiht sich ein Outdoor-Laden an den anderen. Hier leihen und kaufen wir unsere Ausrüstung zusammen. Am folgenden Tag reihen wir uns in eine Armee aus Wanderer ein, die aus allen Ecken Puerto Natales schwer bepackt zum Busbahnhof strömt. Schon die Fahrt durch das karge Patagonien im Morgenlicht ist magisch. Eine Fähre bringt uns im Anschluss über einen milchig blauen Gletschersee zum westlichsten Punkt des „Ws“. Spätestens hier wird klar, der Park wird unsere hohen Erwartungen nicht erfüllen, sondern weit übertreffen.

Und noch etwas wird klar. Hier ist es windig. Man macht sich keine Vorstellung, wenn man bequem im Warmen sitzend über Windgeschwindigkeiten von 100 km/h liest. Die Realität sind dann so aus: fliegende Zelte, Wanderer, die mit 20kg Rucksäcken versetzt werden und Kapuzen, die so laut surren, dass man sich nur noch schreiend darüber austauschen kann, dass wir ja wenigstens auf dem Rückweg den Wind im Rücken haben werden.

Am Campingplatz angekommen stellen wir sicher, dass unser Zelt doppelt angebunden und mit extra großen Steinen beschwert ist. Die Tafel zur Windgeschwindigkeit steht heute auf „extremo“ und die erste Frage unseres Nachbarn ist, ob wir mit unserem Zelt – er hat das gleiche – letzte Nacht auch so viele Probleme hatten. Doch es bleibt nicht viel Zeit, um sich Sorgen über fliegende Zelte zu machen, denn wir wollen los, um rechtzeitig wieder von unserer Tageswanderung hier zu sein. Die Dunkelheit macht uns weniger Sorgen (in Patagonien ist es im Dezember bis nach 22 Uhr hell) sondern eher die Tatsache, dass die Küche abends schließt. Wer zu spät ist, geht hungrig ins Bett. Nach verheerenden Waldbränden in der Vergangenheit verstehen die Ranger bei Feuer keinen Spaß.

Die erste Etappe führt uns stundenlang mit heftigem Gegenwind über kleinere und größere Berge bis zum Gletscher Grey. Das Blau der riesigen Eisschollen im Gletschersee wirkt unwirklich. Von einer Hängebrücke (eine Person maximal) hat man den besten Blick auf den Gletscher. Wir schaffen es danach noch pünktlich in die Küche – Glück gehabt! Nichts schmeckt so gut, wie selbstgeschleppte und auf einem Minikocher zubereitete Pasta mit „El Gato“ Weißwein. Natürlich aus dem Tetrapak.

Der zweite Tag führt uns nun erstmals mit vollem Gepäck vom Paine Grande Campingplatz zu unserer nächsten Station, Francés. Wir treffen über die vier Tage auf dem Weg zu den Torres immer wieder die gleichen Leute. Der Park ist gut besucht, aber nicht unangenehm voll. Der Weg führt heute Morgen an einem wunderschönen See entlang, der den Krombacher-See neidisch werden lassen könnte. Als wir nach mehreren Stunden am Campingplatz sind, diesmal absolut windstill im Wald, brechen wir mit bereits wackeligen Beinen auf eine weitere Tageswanderung ohne Gepäck auf.

Der Aufstieg zieht sich und obwohl wir zügig unterwegs sind, kommen wir nicht rechtzeitig bis 15 Uhr am Trail an, der die letzten Kilometer steil bergauf an einem Wildwasserfluss zum Britanico Lookout führt. Es ist hell und gutes Wetter (leichter Regen) – deshalb sehen wir nicht ganz ein, warum der Trek ab 15 Uhr nicht mehr bestiegen werden darf. Für unsere Rebellion gegen die Parkgesetze werden wir mit einem sehr harten Aufstieg bestraft und einem beispiellosen 360-Grad Gipfelausblick belohnt. Nachdem wir den langen Abstieg zurück zum Zelt hinter uns gebracht haben, ist „Patagonia“ heute definitiv das beste Bier der Welt.

Tag drei haben wir uns als den leichtesten ausgemacht. Er führt uns zum Camping Central, am östlichen Ausgang des Parks und es steht danach keine Tagestour mehr zu einem Gipfel an. Der Weg führt zunächst wieder traumhaft am See entlang. Gesteinsmassive in allen möglichen Farben flankieren den Weg. Zur Abwechslung ist es heute brütend heiß und der anfangs noch schattige Weg wandelt sich mehr und mehr in eine Einöde aus schwarzem Vulkangestein. Zum Glück kann man im Torres alle paar Meter aus einem glasklaren Flüsschen trinken und muss sich nie Sorgen machen, dass das Wasser ausgeht.

Wir genießen nach dem Aufbau unseren freien Tag mit einem Mittagsschlaf im Schatten und einer kurzen Erkundung der Umgebung (Luxushotel im Chalet-Stil, Busstation und Patagonia Laden). Den restlichen Abend sind wir dann dankbar, dass der Helikopter, der schon den ganzen Nachmittag große Bretter in Richtung Torres fliegt, seine letzte Ladung nicht über unserem Zelt, sondern 200 Meter entfernt davon verloren hat.

Von unserem Campingplatz sind neun Stunden bis zu den Torres, inklusive Rückweg, angegeben. Selbst wenn wir glauben, diese Zeit ohne Gepäck erfahrungsgemäß etwas schlagen zu können (wir reihen uns auf der Geschwindigkeits-Skala von „Mit-20kg-Rucksack-Joggern“ und den „Goretext-Vollmontur-Schnecken“ irgendwo in der Mitte ein) wird es daher zum Sonnenaufgang nichts werden. Daher schlafen wir bis 5 Uhr aus und sitzen um 15 Uhr müde aber glücklich im Bus in Richtung Puerto Natales.

In Summe war der Torres dann doch anders als die Gespräche in Puerto Natales vermuten ließen: nicht ganz so anstrengend, nicht ganz so regnerisch – und noch viel schöner.